Archive for Februar, 2008

Feb. 18 2008

Schafe, Guanakos und endlose Weiten- eine Fahrt durch Feuerland

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schafe-guanakos.JPGJose, der Gehilfe des Busfahrers, hievt meinen schweren Rucksack in den Gepäckraum des Ãœberlandbusses, mit dem wir von Rio Grande nach Punta Arenas in Chile fahren wollen. Im Bus befinden sich hauptsächlich junge Familien und ältere Einzelreisende aus Chile und Argentinien. Jens und ich sind die einzigen Touristen. Wir werden aber kaum beachtet. Hier endlich finden wir ein wenig der Ursprünglichkeit Feuerlands, nach der wir so lange gesucht haben.

Es ist 9.30 Uhr. Der Bus soll um 17.00 Uhr in Punta Arenas ankommen. Für die nächsten acht Stunden wird er unser Zuhause sein. Ich nehme am Fenster Platz, der Busfahrer startet den Motor. Die Straßen und Häuser von Rio Grande ziehen an mir vorüber, und schon nach wenigen Minuten fahren wir über eine einsame Landstraße, die sich schnurgerade durch die Landschaft zieht. Die Gegend ist eintönig; endlos scheint die Steppe mit ihren gelblich braunen Gräsern. Nur hie und da unterbrechen ein paar Hügel die Ebene. An manchen Stellen wachsen niedrige Büsche. Alle höher wachsenden Pflanzen haben keine Chance gegen den ständigen Wind, der erbarmungslos über die Ebene peitscht.

Die Weite der Pampa hat einen beruhigenden Effekt auf mich. Es tut gut, die Sinne einfach mal zu Ruhe kommen zu lassen. Endlich einmal keine Informationen für Ohren, Augen…. – Ruhe für das Hirn.

Plötzlich sehe ich weiße Punkte am Horizont. Als wir näher kommen, erkenne ich, dass es Schafe sind – das Kapital der reichen Estancia-Besitzer. Es gibt hier unendlich viele dieser Paarhufer, wahrscheinlich mehrere Milliarden. Sie wurden von den ersten Siedlern hergebracht. Schafe sind robust, ertragen Kälte und Wind und geben sich mit dem rauen Steppengras zufrieden. Sie leben in fast völliger Freiheit bis zum Tage der Schur oder der Schlachtung. Dann werden sie zusammengetrieben von den Gauchos, den wahren Herrschern der Pampa. Vier Jahre geben die Schafe gute Wolle, dann werden sie geschlachtet. Das Fleisch schmeckt gut, denn es stammt von Tieren, die nie einen Stall kannten. Schafe bringen den Estancias viel Geld, die Herrenhäuser der Estancias können dies bezeugen. Immer wieder rauschen die weißen Wolleknäuel an meinen Augen vorbei.

Hin und wieder sieht man in der Ferne eine Estancia mit dem Gutsherrenhaus und den Häusern für die Arbeiter. Pferde grasen auf den Weiden um die Estancias. Es sind die Tiere der Gauchos, die Pferde der Pampa, die in der Weite der Steppe aufwuchsen und in deren Augen die Freiheit leuchtet. Wie gerne würde ich mit einem dieser Rösser über das Grasland jagen, ein bisschen Freiheit empfinden. Das Dröhnen des Motors erinnert jedoch mich daran, dass ich mich nicht auf dem Rücken eines Vierbeiners, sondern in einem Fahrzeug befinde. Es ist ruhig im Bus, Jens liest in seinem Buch, der ältere Herr mit dunkler faltiger Haut döst vor sich hin. Mein Blick richtet sich wieder aus dem Fenster auf die endlosen Weiten.

Ein paar braun-weiße Flecken erregen meine Aufmerksamkeit. Lange Hälse recken sich in die Höhe, als sich der Bus nähert. Es ist eine Gruppe von Guanakos. Guanakos gehören der gleichen Familie wie Lamas und Vizkunyas an. Ihr dickes flauschiges Fell ist am Rücken hellbraun, der Bauch ist weißlich gefärbt. Es ist der perfekte Mantel gegen den eisigen Wind Patagoniens. Guanakos sind im – Gegensatz zu den Schafen – in Patagonien heimisch. Da sie auch auf den Weiden der Estancias grasen, haben sie praktisch keine natürlichen Feinde mehr. Der Estancia-Besitzer sorgt dafür, dass sich kein Puma den Schafsweiden nähert. Die Guanakos haben deshalb auch keine Scheu vor den Menschen. Teilweise werden sie gejagt. Doch soll ihr Fleisch nicht so gut schmecken wie ein gutes saftiges Stück Schaf- oder Rindfleisch, erzählen mir die Einheimischen. Vielleicht können wir an unserem Zielort in Punta Arenas einmal Guanako-Fleisch probieren. Ich schaue auf die Uhr. Es ist 12.30 Uhr. Wir müssten bald die Grenze nach Chile passieren. An mir vorbei ziehen wieder die Flächen mit dem gelbgrauen Steppengras. Ich merke wie meine Augenlider langsam schwer werden……

 

In der Pampa Patagoniens werden selbst die Gedanken laut…..

Bruce Chatwin

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Feb. 12 2008

Ushuaia, die Stadt der Heimatlosen

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Bunte Häuser, manche so klein wie Geräteschuppen, schmiegen sich an die Hänge des Beagle-Kanals. Alles sieht ein wenig unorganisiert aus. Wir sind in Ushuaia, am Ende der Welt.

Ushuaia liegt im argentinischen Teil von Feuerland, direkt am Beagle-Kanal. Diese Wasserstraße verbindet den Atlantik mit dem Pazifik. Sie wurde nach dem Schiff benannt, mit dem Charles Darwin vor etwa 100 Jahren Südamerika bereiste. Feuerland hingegen erhielt seinen Namen von den vielen Feuern am Ufer. Diese waren von den dort lebenden Indianern entzündet worden, um ein wenig Wärme in ihr Leben zu bringen. Gegenüber von Ushuaia, auf der anderen Seite des Beagle-Kanals, sieht man die hohen Berge der Isla Navarina. Das ist der kaum besiedelte chilenische Teil von Feuerland. Das Bergpanorama ist bestechend schön. Immer wieder schweifen meine Blicke in die Ferne. Nie zuvor sah ich so hohe Berge, die direkt aus dem Meer steil aufragen.

Das Zentrum von Ushuaia besteht aus einer Haupt- und mehreren kleinen Querstraßen. Hier reihen sich Restaurants an Souvenirläden, Outdoorshops an Reisebüros. Immer wieder lese ich das Wort „Antarcica“. Denn Ushuaia gilt als das Tor zur Antarktis. Alle Kreuzfahrtschiffe mit dem Ziel Antarktis machen hier einen Zwischenstopp. Der Tourist findet in dieser Stadt alles, um seinem Traum vom Ende der Welt näher zu sein. Und es sind viele, die hierher reisen. Man trifft Menschen aus allen Nationen. Aber auch zahlreiche Menschen, die hier leben und arbeiten, kommen ursprünglich aus anderen Teilen Argentiniens. Es ist ziemlich schwierig, jemanden zu finden, der hier geboren wurde oder wenigstens schon länger als zehn Jahre hier lebt. Deshalb ist Ushuaia für mich auch die Stadt der Heimatlosen.

Alle Menschen, die ich in den Straßen von Ushuaia treffe, kamen hierher, um Urlaub zu machen oder um eine Saison lang hier zu arbeiten. Luis, ein Touristenguide, beispielsweise. Er berichtete uns, dass er seit fünf Jahren hier lebt. Er stammt aus Cordoba, einer Stadt in Nordargentinien. Und er kam nach Ushuaia, um in der Tourismusbranche zu arbeiten. Er erinnert sich, dass es vor fünf Jahren fast noch kein Haus mit Garten gab. Die Leute seien hier früher nur eine Saison geblieben, um in der Fischindustrie zu arbeiten. Für diese kurze Zeit lohnte es sich nicht, ein schönes Heim zu bauen. Man kaufte sich deshalb in der Regel ein billiges Fertighaus aus Kanada oder Finnland. Das sind einfache Holzhäuser. Die aus Finnland sind bunt angestrichen, die aus Kanada sehen mit ihrer graubraunen Farbe trostloser aus. Seit dem Touristenboom baut man allerdings nun auch hier schönere, größere Häuser. Die ersten Gärten wurden angelegt. Viele Leute bleiben jetzt ganzjährig hier. Die Stadt hat sich dadurch in den letzten Jahren stark vergrößert. Mit dem Bevölkerungswachstum stieg auch der Bedarf an Verwaltungsangestellten. Viele arbeiten jetzt neben ihrer Tätigkeit in der Tourismusbranche auch in der Verwaltung. Die „Heimatlosen“ haben eine neue Heimat am Ende der Welt gefunden.

 

Jeder hat ja so seine eigene Vorstellung vom Ende der Welt. Für die meisten jedoch bedeutet es Kälte, Wind und Pinguine. Es ist Mitte Januar, also Hochsommer in Ushuaia. Aber wir sind dennoch erstaunt über die Wärme hier: Denn auch im Hochsommer herrschen in Antarktisnähe eigentlich winterliche Temperaturen. Derzeit nicht. Ich frage mich, weshalb ich meine dicken Handschuhe und meine Mütze mitgenommen habe. Meine Vorstellungen vom kalten Ende der Welt bewahrheiten sich jedenfalls nicht. Vielleicht muss man in Zukunft wirklich in die Antarktis fahren, um ein bisschen das Gefühl vom unwirklichen kalten Weltende zu erhalten. Wind und Pinguine gibt es jedoch noch. Letztere können die Touristen in Ushuaia mit dem Boot aufsuchen. Im Hafen findet man eine Agentur neben der anderen. Sie alle bieten Bootsfahrten im Beagle-Kanal an. Es gibt hier für jeden das geeignete Programm. Eine Bootsfahrt mit einem großen Katamaran mit Halt an einer Pinguininsel etwa – für den bewegungsunfreudigen Pauschaltouristen oder den unter Zeitdruck stehenden US-Amerikaner oder Japaner. Es gibt jedoch auch etwas individuellere Touren. Wir entscheiden uns schließlich für eine Fahrt mit einem Segelboot in einer kleinen Gruppe zu zehn Personen zur Insel „H“. Auf der Fahrt dahin passiere man auch die Insel der Seehunde, heißt es und auf „H“ angekommen, könne man an Land gehen und zu einer Kormorankolonie wandern. Die Dame von der Agentur „Tres Marias“ versichert uns, dass dieses Angebot wirklich einmalig sei, da man in kleinen Gruppen unterwegs sei und nur ihre Agentur die Erlaubnis habe, auf der Insel „H“ an Land zu gehen. Da wir uns nicht als Pauschaltouristen betrachten und eher auf den Seitenstraßen des Tourismus reisen wollen, buchen wir diese Tour. Und wir werden nicht enttäuscht. Wir sehen Seehunde und Kormorane und spüren den Wind vom Ende der Welt in unseren Gesichtern.

Nach einem Besuch im Nationalpark von Feuerland verlassen auch wir zwei Tage später wieder Ushuaia, die Stadt der Heimatlosen. Fünf Tage lang war sie uns ein bisschen Heimat… Dennoch sind wir froh, weiterziehen zu können, da die vielen Touristen doch ein wenig die Vorstellung vom einsamen Ende der Welt beeinträchtigen.

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Feb. 12 2008

Internetverbindungen am Ende der Welt – die Entdeckung der Langsamkeit

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Am Ende der Welt gehen die Uhren anders. Langsamer. Dass Zeit tatsächlich relativ ist, wurde uns klar, als wir vor dem Computerbildschirm in einem Internetcafe in Patagonien saßen und eine E-Mail mit Anhängen versenden wollten. Dieser Vorgang zog sich ziemlich lange hin. Und es hat auch eine Weile gedauert, bis wir verstanden, dass dies nicht am E-Mail-Programm oder an der Größe der Bilder lag. Schuld sind die langen Leitungen hier. Die Computer und Bildschirme sehen eigentlich aus wie zu Hause, nur die Internetverbindungen sind unendlich langsam.

Für uns war es schon erstaunlich, dass man sich hier anscheinend nicht darüber ärgert. Wie schnell sind wir zu Hause in Deutschland genervt, wenn der Ladebalken am Computer einfach nicht voranschreitet. Auch wir waren anfangs verärgert, dass wir aus technischen Gründen unsere Internetseite nicht so pflegen können, wie wir es geplant hatten. Jetzt sehen wir das Ganze gelassener. Wir werden dennoch versuchen, immer mal wieder neue Fotos einzustellen. Wir hoffen, dass wir auch Euch Daheimgebliebenen ein wenig Gelassenheit vom Ende der Welt übermitteln können. Die Bilder und Neuigkeiten werden kommen, zwar langsam, aber sie werden kommen…versprochen…

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Feb. 11 2008

Schiffsfahrt nach Puerto Montt

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Heute wollen wir mit dem Schiff durch die Fjorde Patagoniens nach Puerto Montt. Ob wir wohl seekrank werden?

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Feb. 11 2008

Abenteuerliche Grenzueberquerung

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Heute wollen wir mit Bus, Boot und Pferd einen abenteuerlichen Grenzuebergang von El Chalten in Argentinien, nach Villa O´Higgins in Chile machen. Die Ueberquerung dauert zwei Tage.

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Feb. 11 2008

Fahrt nach Puerto Natales

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Heute geht es ueber Villa Tehuelche, einem kleinem Dorf, wo wir authentisches chilenisches Leben erhoffen nach Puerto Natales. Puerto Natales ist der Startpunkt fuer Touren in den Nationalpark Torres del Paine. Am Freitag wollen wir auf ein Rodeo nach Villa Cerro Torre, einem kleinen Ort in Patagonien. Wieviele Gauchos wohl vom Pferd fallen?

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Feb. 01 2008

Eine Woche in Divinopolis – Eindrücke aus Brasilien

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Die ersten zehn Tage unserer Reise verlebten wir in und um Divinopolis, einer mittelgroßen Stadt im Bundesstaat Minas Gerais mit etwa 170.000 Einwohnern. Sie befindet sich rund 100 Kilometer südwestlich von Belo Horizonte.

Divinopolis ist die Heimatstadt von Jens. Hier brachte er insgesamt acht Jahre seines Lebens zu. Hier ging er zur Schule und machte anschließend eine Lehre zum Maschinendreher. Seine Eltern und sein Bruder Johannes leben immer noch hier. Wir konnten während unseres Aufenthaltes im Hause seiner Mutter unterkommen, die derzeit in Deutschland bei Jens’ Schwester weilt. Unsere Tage hier waren ausgefüllt mit Besuchen bei der Familie und bei Freunden von Jens – und Jens’ Familie ist groß.

In Brasilien gibt es übrigens im Vergleich mit Deutschland noch recht viele Kinder. Häufig sieht man Familien mit drei bis vier Sprösslingen. Für mich bedeutete dies Begegnungen mit einer Vielzahl von Menschen. Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

Beeindruckend ist in Brasilien vor allem die ethnische Mannigfaltigkeit. Man sieht hier Menschen aller Volksgruppen und Hautfarben. Die verschiedenen ethnischen Gruppen haben sich hier im Gegensatz zu anderen Ländern jedoch gut vermischt. Bereits Stefan Zweig beschrieb in seinem Buch „Brasilien – Land der Zukunft“ diese einzigartige Vielfalt an Menschen der unterschiedlichsten Herkunft. Auch die Familie von Jens setzt sich aus Menschen, die aus den verschiedensten Regionen der Welt stammen, zusammen. Alle haben mich liebevoll aufgenommen. Alle begegneten mir mit dieser für die Brasilianer typischen offenen und freundlichen Lebensart. Der Tisch war immer für uns gedeckt. In allen Häusern habe ich mich jederzeit wie zu Hause gefühlt, und nie hatte ich den Eindruck zu stören.

An den ersten beiden Tagen besuchten wir Jens’ Tante und Onkel in Barbacena – einer Stadt, die zwei Autostunden nördlich von Rio de Janeiro liegt. Barbacena ist – wie Divinopolis – kein Reiseziel für Touristen. Auch hier kann man daher den authentischen brasilianischen Alltag erleben.

Auf dem Weg dorthin hielten wir in zwei alten Kolonialstädten aus der Zeit des Goldrausches in Brasilien. Die Geschichte des Staates Minas Gerais ist eng mit dem Abbau von Edelmetallen und Edelsteinen verbunden. Die ersten Menschen, die von den reichen Goldvorkommen hier berichteten, waren die „Bandeirantes“ – wagemutige räuberische Pioniere, die in die beinahe undurchdringlichen Wälder des Inlandes vorstießen. Es folgten ihnen tausende von Goldgräbern, die prächtige Kolonialstädte mit üppig verzierten Barockkirchen erbauten.

Die wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Als erstes statteten wir Sao Joao del Rey einen Besuch ab. Die Stadt hat uns sehr gut gefallen, da sie nicht so sehr von Touristen überlaufen ist wie etwa Tiradentes und Ouro Preto. Auch Jens, der sich anfangs weigerte, in der Stadt Halt zu machen – er fürchtete, dass die Zeit nicht ausreichte – war begeistert.

Danach besichtigten wir Tiradentes. Diese Stadt gilt als weiteres Juwel der alten Kolonialsiedlungen in Minas Gerais und zieht daher scharenweise Gäste an. Pensionen und Souvenirläden reihen sich dicht an dicht. Und auch an den Preisen wird deutlich, dass hier vor allem für und von Touristen gelebt wird. Mir hat besonders gut die Lage der Stadt gefallen. Die alten Kolonialhäuser stehen vor der wunderbaren Kulisse einer Bergkette. Unter einer sengenden Sonne durchstreiften wir die alten Gassen und beendeten unseren Rundgang schließlich reichlich ermattet in einem Café am Hauptplatz des alten Ortskernes. Der Name Tiradentes kommt übrigens von einem Zahnarzt (Tiradentes = Zahnzieher). Dieser hieß eigentlich Joaquim José da Silva Xavier und war der Anführer einer Rebellengruppe, die sich von der portugiesischen Krone trennen wollte. Seine Bemühungen waren jedoch erfolglos. Tiradentes wurde verraten und hingerichtet. Und das ziemlich grausam: Er wurde gevierteilt und seine Gliedmaßen in alle vier Himmelsrichtungen zerstreut. Heute gilt er in Brasilien als Nationalheld.

Danach zogen wir weiter Richtung Barbacena. Tante Elena und Onkel Iber empfingen uns mit ausgesprochener Herzlichkeit. Wir feierten bis spät in die Nacht mit ihnen und ihren beiden Söhnen Ulysses und Iler. Das Bier floss in Strömen. Immer wieder stand eine neue Flasche auf dem Tisch, immer wieder war mein Glas mit dem Hopfensaft gefüllt. Ich habe den Eindruck, dass in Brasilien mehr Bier getrunken wird als in Deutschland. Dazu verspeisten wir kleine Appetithappen, so genannte Tiragosto. Elena empfahl mir Jilo, eine Spezialität aus Minas Gerais. Es ist eine Art Zucchini mit bitterem Geschmack. Jens findet Jilo furchtbar. Mir hingegen hat er wunderbar geschmeckt. Jens’ Finger griffen lieber immer wieder in die Schale mit frittierter Schweinehaut – Torresmo. Diese sehen aus wie dicke Chips. Für mich als Vegetarierin ist das allerdings natürlich tabu.

Am nächsten Tag fuhren wir nach einem ausgiebigen Mittagessen bei Tante Elena weiter in Richtung Belo Horizonte, der Hauptstadt von Minas Gerais. Dort wollten wir Jens’ Oma und seinen Tanten unsere Aufwartung machen. Auf dem Weg dorthin legten wir einen kurzen Stopp in Congonhas ein. Dies ist eine Pilgerstadt mit wunderbaren Statuen aus Seifenstein, geschaffen von dem bekannten Barockbildhauer Aleijadinho. Er war der Sohn eines Kolonialherren und einer schwarzen Sklavin. Seine Hände waren – wahrscheinlich durch eine Pestinfektion – verstümmelt, sein Rücken gebogen. Um zu arbeiten, ließ er sich die Bildhauerwerkzeuge an seine Hände binden. Und er arbeitete trotz seines Leidens unermüdlich. Die Statuen der zwölf Apostel in Congonhas zeugen von seiner Kunstfertigkeit. Die Gesichter sind derart ausdrucksvoll, dass es fast scheinen mag, als seien lebende Personen urplötzlich zu Stein erstarrt.

Wir fuhren weiter nach Ouro Preto, der Perle des Kolonialbarock und die Stadt von Aleijadinho – hier wurde er geboren und begraben. Vor allem in den hiesigen Kirchen hat er seine Spuren hinterlassen. Doch leider kamen wir etwas zu spät – erst nach fünf Uhr. Die Gotteshäuser waren bereits geschlossen. Nichtsdestotrotz verließen wir nach rund zwei Stunden glücklich eine Stadt, die uns mit ihren malerischen steilen Gassen und Hügeln in ihren Bann gezogen hatte.

Weitere zwei Stunden später klingelten wir an der Haustür von Jens’ Oma. Die Tür öffnete sich, und heraus trat eine kleine sympathisch lächelnde ältere Dame. Jens überragt sie fast um das Doppelte. Sie war glücklich, ihren Enkel wieder zu sehen. Auch ich wurde herzlich begrüßt, und schon bald standen dampfende Schüsseln voller Speisen auf dem Tisch. Am nächsten Tag gingen wir auf den Markt von Belo Horizonte – den Mercado Centra. Er ist das Herzstück der Stadt. Hier machten wir einige Fotos und führten ein Interview mit der Marktverwaltung.

Später besuchten wir Tante Marisa und ihre Familie. Auch hier wurde ich wieder herzlich aufgenommen und auch hier wurden wir mit brasilianischen Köstlichkeiten verwöhnt. Die Häufen auf Jens’ Teller nahmen mehrmals gebirgszugartige Formen an. Er war glücklich, endlich wieder Reis und Bohnen essen zu können. Tante Marisa bat uns, zu bleiben. Aber wir mussten ja wieder zurück nach Divinopolis. Dort endete unser Ausflug schließlich mit einem kühlen Bier und frittierten Maniokstücken in einer Bar.

Die drei letzten Tage unseres Aufenthaltes in Divinopolis verbrachten wir hauptsächlich mit Jens’ Schwager Leston, einem ehemaligen Profifußballer, der bereits gegen Pelé und Garicha gespielt hat. Er ist in Divinopolis sehr bekannt und arbeitet heute als Radio- und Fernsehreporter für Fußballspiele. Er lud uns zu einem Churrasco in sein Haus ein. Leston liebt die Musik, und so dauert es nicht lange bis alle Gäste sangen, sich ein Instrument schnappten und darauf musizierten oder ihren Körper im Rhythmus des Samba bewegten. Immer wieder wurde ein Teller mit frischem kleingeschnittenem Grillfleisch gereicht. Wer Hunger hatte, nahm sich einfach ein Stück mit der Hand. Und auch die Biergläser füllten sich in regelmäßigen Abständen. Sowohl Bier als auch Fleisch schienen nie zur Neige zu gehen. Immer wieder griff ich zu meinem Bierglas und dachte wehmütig an meine arme Leber und den Bierbauch, der mich wohl alsbald schmücken wird.

Am nächsten Tag trafen wir uns früh am Morgen mit Leston vor dem örtlichen Fußballstadion von Guarani, der Erstliga-Mannschaft von Divinopolis. An diesem Tag wurde ein Freundschaftsspiel gegen Formiga ausgetragen. Leston ermöglichte es uns, auf das Spielfeld zu gehen, Fotos zu machen und mit dem Schiedsrichter und dem Clubchef zu sprechen. Plötzlich hatte ich ein Mikrofon vor meinem Gesicht. Ein Journalist aus Divinopolis bat mich meine Eindrücke von Brasilien und dem brasilianischen Fußball zu schildern. Ich beantworte seine Fragen gebrochen auf Portugiesisch. Auch Jens wurde interviewt. Die Reportage sollte am nächsten Tag gesendet werden.

Das Spiel war sehr defensiv. Meine Vorstellungen vom brasilianischen Sambafußball wurden leider nicht erfüllt. Das Ambiente im Stadium war jedoch einmalig. Das gesamte Spiel wurde von Trommelklängen und Sprechgesängen begleitet. Das Publikum war bunt gemischt. In der Pause gab es Bier, Cola und Fleischspieße. Fleischspieße sind hier die „Stadionswürste“.

Nach dem Spiel gingen wir in ein Botequin, eine einfache Bar für einfache Leute. Ich war die einzige Frau dort und die Attraktion der dort anwesenden Männer. Wieder hatte ich ein Bierglas in der Hand und wurde mit Fragen bestürmt. Meine Auskunft, dass ich eine deutsche Ärztin bin, löste Bewunderung und Wogen der Sympathie aus. Ich solle nach Brasilien ziehen und eine Praxis eröffnen, wurde mir nahegelegt. Ein kleiner, etwas ungepflegt wirkender Brasilianer griff sich immer wieder ans Herz und teilt mir mit, dass ich in Brasilien herzlich willkommen sei. Aus seinem Mund blitzte ein kariöser Schneidezahn hervor. Immer wieder sagte er mir, dass er mein Freund sei. Am Ende umarmte er mich und seine Arme glichen einer Stahlklammer. Hilflos suchten meine Augen Jens, der mich schließlich befreite. Am Ende gab mir ein anderer Barbesucher zum Abschied eine Schokolade.

Ich war erschöpft, erschöpft von der Aufmerksamkeit, die mir hier zuteil wurde. Am Abend gingen wir mit Jens’ Bruder Johannes, seiner Frau Glaene und seinem Sohn Jan zum Pizzaessen. Es war unser letzter Abend in Divinopolis. Am nächsten Tag wollten wir nach Argentinien fliegen. Wir verabschiedeten uns von all den lieben Menschen, die ich in dieser Woche kennenlernen durfte und in mein Herz geschlossen habe. Es waren spannende Tage, die mir tiefe Eindrücke vom Leben in Brasilien gegeben haben.

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