Archive for April, 2008

Apr. 15 2008

Uruguay – Europäische Wurzeln, Mate und Gauchos

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UruguayWarum eigentlich nicht auch nach Uruguay fahren, denken wir uns, als wir unsere letzten Stunden in Buenos Aires verbringen. Denn der argentinische Nachbarstaat ist nur einen Katzensprung von hier entfernt. Gedacht – getan: Nach einer einstündigen Bootsfahrt mit dem Schnellboot der Schifffahrtsgesellschaft Buquebus betreten wir den Boden Uruguays. Es ist ein Land, von dem wir eigentlich keinerlei Vorstellungen haben, da man in Europa nur wenig darüber erfährt. Und es ist im Vergleich zu den anderen Ländern Südamerikas recht klein. Sechs Stunden reichen aus, um das gesamte Staatsgebiet von Süden nach Norden einmal zu durchqueren.

Unseren ersten Eindruck von Uruguay bekommen wir in Colonia del Sacramento, einer historischen Stadt an der Mündung des Rio de la Plata, westlich von der uruguayischen Hauptstadt Montevideo. Wir sind erstaunt, wie viel Wert man hier auf Sauberkeit und Ästhetik legt. Alte Bäume säumen die Straßen, die Gehsteige sind sauber – ja, uns kommt es fast vor, als seien wir in einer schwäbischen Stadt, in der die Einwohner regelmäßig die Kehrwoche machen. Auch die Menschen sehen sehr europäisch aus. Die Frau vom Postamt erzählt uns dann auch, dass fast alle Bewohner Uruguays von italienischen, spanischen, französischen und deutschen Einwanderern abstammen. Wir fühlen uns sofort heimisch in den Straßen von Colonia del Sacramento, genießen die Ruhe, die Sauberkeit und das viele Grün. Kleine Cafes, Restaurants und Kunstläden finden sich im historischen Ortskern, der von alten portugiesischen Häusern im Kolonialstil geprägt ist. Das ist der perfekte Ort, um abzuschalten, um das Leben zu genießen. Das Mittelmeerklima ist angenehm. Man könnte sich hier vielleicht im Alter einmal niederlassen, denken wir, als wir die wunderschönen im mediterranen Stil erbauten Häuser betrachten.

Am nächsten Tag fahren wir weiter nach Montevideo. Wir sind gespannt, ob es auch hier etwas von der Sauberkeit und Ordnung zu sehen gibt, wie wir sie in Colonia del Sacramento vorgefunden hatten. Aber unsere Erwartungen werden leider nicht erfüllt. Vielmehr herrscht in Montevideo – wie eigentlich in jeder südamerikanischen Großstadt – Chaos, Lärm und Schmutz. Ein Stadtbild, das lediglich durch die Bäume und Palmen aufgelockert wird, mit denen auch hier die Gehsteige der Straßen bepflanzt sind.

Ein Gang durch die Altstadt zeigt hier wieder sehr deutlich, dass auch diese Metropole europäische Wurzeln besitzt. Cafés, Buchläden, Kinos und Theater prägen das Gesicht der Innenstadt. Die Cafés tragen sogar häufig Namen italienischer und deutscher Herkunft. Und so fühlen wir uns trotz des Lärms und des Chaos auch hier ein wenig heimisch.

Fremdartig mutet uns allerdings die Gewohnheit der Leute an, mit einer Thermoskanne unter dem Arm und einer bauchigen Tasse in der Hand durch die Straßen zu laufen. Der Grund dafür wird bald klar: Denn hier trinken alle zu jeder Tageszeit Matetee, das Nationalgetränk Uruguays. Dazu wird diese Tasse – ein spezielles Gefäß, Bombilla oder Calabaza genannt – zu drei Vierteln mit den feingemahlenen Blättern des Mate-Baumes gefüllt. Diese übergießt man mit heißem Wasser. Ein silbernes Röhrchen, das sich nach unten verbreitert und dort mit mehreren kleinen Öffnungen versehen ist, dient als Trinkhalm. Da das Gefäß ja fast vollständig mit Teeblättern gefüllt ist, muss ständig heißes Wasser nachgegossen werden. Und dieses wiederum wird in der bereits erwähnten Thermoskanne für mehrere Stunden warmgehalten.

Das Trinken von Mate ist eine soziale Angelegenheit. In einer Gruppe wird das Mategefäß immer an den Nächsten weitergereicht, nachdem man den Aufguss getrunken hat. Mate ist auch das Getränk der Gauchos, der typischen Bewohner der grünen Pampas von Uruguay. Sie haben eine eigenständige Kultur und Lebensweise entwickelt. Auch heute noch gibt es sie in den fruchtbaren Ebenen des Landes. Sie verdienen sich mit der Arbeit auf den Rinderfarmen ihren Lebensunterhalt. Uruguay ist ein sehr fruchtbares Land, da es über viele Süßwasservorräte verfügt. Die Estancias in den weiten Ebenen produzieren vor allem Rind- und Schaffleisch. Das Fleisch hier soll sogar noch besser schmecken als das in Argentinien, berichtet man uns. Es wird jedoch nicht nach Europa exportiert, sondern hauptsächlich im eigenen Land verzehrt. Uruguay ist bisher noch nicht vom internationalen Tourismus entdeckt worden. Bis auf wenige Badeorte, die in den Sommermonaten von Argentiniern und Brasilianern überflutet werden, erhält man hier noch den Eindruck von Ursprünglichkeit. Die spontane Entscheidung nach Uruguay zu fahren haben wir nicht bereut.

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Apr. 14 2008

Für ein paar Stunden wieder jung sein – die älteren Herren der Milongas

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ältere MilonguerosEs ist vier Uhr an einem Freitagnachmittag im Zentrum von Buenos Aires. Langsam steige ich die alten Stufen in den zweiten Stock der Confiteria Ideal hinauf. Hier möchte ich nun endlich das Ambiente einer Nachmittags-Milonga erleben.

Die Confiteria Ideal ist ein altes Kaffeehaus, das um die Wende zum 20. Jahrhundert erbaut worden ist. Und viel hat sich hier seitdem auch nicht geändert. Der Stuck an der Decke des alten Tanzsaales bröckelt bereits leicht ab. Die zahlreichen cremefarbenen Säulen, die im Raum verteilt sind, weisen Sprünge auf. Von oben baumeln riesige alte Kronleuchter und verbreiten ein schummriges Licht. Um die Tanzfläche gruppieren sich kleine runde Kaffeetische mit Stühlen. Hier nehmen die Tänzer ein Getränk zu sich und erholen sich von den Anstrengungen des Tanzes oder plaudern leise mit den Tischnachbarn.

Auf der Tanzfläche bewegen sich langsam die Körper der Paare im Rhythmus der Tangomusik. Es ist Tango der 20iger und 30iger Jahre aus der Zeit von Carlos Gardel, der Stimme Argentiniens – ein Mythos, der bis heute weiterlebt. Es ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit. In vergangene Zeiten zurückversetzt fühlen sich wohl auch die vielen älteren Herren dieser Tanzveranstaltungen – auch Milongueros genannt – wenn sie mit einer wesentlich jüngeren Dame durch den Raum schweben.

„Kommen Sie. Wollen Sie tanzen?“ Ich drehe mich zur Seite, sehe einem sauber und adrett in einen weißen Anzug gekleideten älteren Herren ins Gesicht. Ich erzähle ihm, dass ich aus Deutschland komme und nicht besonders gut Tango tanzen könne. Ihm sei das egal, meint er. Wir könnten jedoch aber auch gern erstmals ein wenig plaudern. Und so berichtet er mir, dass er Francisco heiße und fast jeden Tag hierher komme. Er habe schon mit vielen Touristinnen getanzt. Und alle haben ihm später geschrieben. Stolz zieht er einen Stapel fein säuberlich in Plastik eingeschweißter Postkarten hervor. Es sind Karten aus der ganzen Welt – aus Deutschland, Luxemburg, den USA, Kanada, Italien. Seine Frau sei vor mehreren Jahren gestorben. Er habe drei Kinder, die alle in Buenos Aires leben. Wieder greift er in die Tasche seines weißen Jackets und präsentiert alte schwarz-weiß Fotos, die seine Frau und seine Kinder zeigen. So haben sie einmal ausgesehen, und wie hübsch doch seine Frau gewesen sei. Mit ihr sei er immer auf die Milongas gegangen, erzählt er. Mit ihr konnte er am besten seinen eigenen, sehr ruhigen Tanzstil tanzen. Im Hintergrund höre ich die Stimme von Carlos Gardel als er mich schließlich zum Tanz auffordert. Ich schäme mich wie immer, habe Angst, meine geringen Tangokenntnisse würden nicht ausreichen, um seiner Führung zu folgen. Er macht kleine Tanzschritte, mal vor, mal zur Seite. Es ist nicht schwer, ihm zu folgen. Ich entspanne mich und denke, dass dies so gar nicht mit dem Stil übereinstimmt, den ich in meinen Kursen gelernt habe. Leise flüstert er mir zu, dass ich wunderbar tanze, dass wir den gleichen Tangostil hätten. Am Ende des Tanzes bringt er mich zurück an den Platz und erzählt mir mit glänzenden Augen, dass er gemeint habe, mit seiner Frau zu tanzen. Ich bitte ihn um seine Adresse und versichere ihm, dass auch ich ihm eine Postkarte aus Deutschland schicken werde. Langsam steige ich die Treppen der alten Confiteria Ideal hinunter und denke an meinen Tanz zurück in die Vergangenheit.

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Apr. 13 2008

Auf der Suche nach Harmonie und Leidenschaft – Tango-Touristen in Buenos Aires

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Im Innenhof des Hotel Victorias in San Telmo hört man leise Tangomusik aus einem der Zimmer zum Hof. An den Tischen blättern einige Tango-Touristen aufmerksam in den Tangozeitschriften von Buenos Aires. Es sind hauptsächlich Einzelreisende aus Europa im Alter zwischen 30 und 70 Jahren. Sie alle sind auf der Suche nach der Seele des argentinischen Tanzes – und die liegt eindeutig hier, in Buenos Aires. Es ist die Stadt, in der der Tango geboren wurde und in der er sich in den folgenden Jahrzehnten weiterentwickelt hat.

Und Buenos Aires hat sich seine Tango-Tradition bis heute erhalten. Nie zuvor gab es ein solch großes Angebot an Tanzkursen, Tanzveranstaltungen (Milongas) und professionellen Tanzshows. Hier findet jeder Tangobegeisterte das passende Angebot. Wenn man möchte, kann man hier 24 Stunden am Tag Tango tanzen.

Fast alle Gäste im Hotel Victoria stehen spät auf, da sie bis zum frühen Morgen auf den nächtlichen Milongas ihre Körper im Rhythmus des Tango bewegten. Die Eigentümer des Hotels bieten deshalb schon lange kein Frühstück mehr an. Das kann man sich jetzt zu jeder Zeit in der Hotelküche der Gäste selbst zubereiten. Eine Belgierin mittleren Alters berichtet, dass sie schon bereits das fünfte Mal hier zum Tango tanzen ist. Üblicherweise nimmt sie täglich drei Stunden Unterricht und geht dann am Abend auf die Milongas. Es sei als Frau nicht schwer, alleine dorthin zu gehen. Man finde eigentlich immer einen Porteno (Bewohner von Buenos Aires), der sich mit einer Tango-Touristin auf die Tanzfläche wage. Für Männer aus dem Ausland sei es dagegen wesentlich schwieriger, eine Portena (Bewohnerin von Buenos Aires) zum Tanz aufzufordern. Denn wenn der Mann nicht gut tanzen könne, verliere die Tänzerin ihr Gesicht, erklärt uns Jan aus Holland. Deshalb nehme er eigentlich hier nur Tanzstunden. Auf Milongas gehe er nur selten.

Auf den Milongas trifft man immer wieder bekannte Profitanzpaare. Schaut man diesen beim Tanzen zu, wird einem sofort klar, dass der Tango Argentino – wie wohl kein anderer Tanz auf dieser Welt – Harmonie, Perfektion und Leidenschaft zwischen Mann und Frau darstellt. Und das ist es wohl, was Tango-Touristen aus Europa hier suchen. Um dies zu erreichen quälen sie sich für zwei bis fünf Wochen täglich in Tanzkursen, nehmen Schlafmangel und den unerträglichen Lärm von Buenos Aires in Kauf. Doch bereits ein Tanz, der einem plötzlich dieses Gefühl von Harmonie vermittelt, dieses Eins sein mit sich, seinem Körper und den Bewegungen des Partners, lässt den Tango-Tourist die Strapazen der letzten Wochen vergessen. Er ist sich sicher, dass dies nicht die letzte Tango-Reise nach Buenos Aires gewesen ist.

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