Archive for Oktober, 2007

Okt. 07 2007

Völker und Natur

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Ich machte einmal die Bekanntschaft eines Mannes, der für viele Jahre durch Lateinamerika gereist war. Er erzählte mir von seinen Begegnungen und Erlebnissen und fasste am Ende zusammen:

„Die Menschen dort sind uns mindestens um zehn Jahre voraus“.

Diese Aussage bedarf sicherlich einer Erklärung, vor allem in einer globalisierten Zeit wie der unsrigen. Wir Europäer (ich verstehe mich sowohl als Deutscher wie auch als Brasilianer) – wir Erfinder und Förderer, Produzenten und Konsumenten, wir, die Vorreiter und Helden des Fortschritts, wir, die alte aufgeklärte Welt – werden über diese Aussage stutzen und uns kaum der Frage entziehen können, die bereits auf unserer Zunge liegt: „Wie kann das sein?“ Auf eine Erklärung gespannt, stellte ich dieselbe Frage und bekam diese erstaunliche Antwort:

„Spirituell sind sie uns mindestens um zehn Jahre voraus“.

Ich denke darüber nach und erinnere mich an die Bilder und an die eigenen Erlebnisse meiner Kindheit und Jugend in Brasilien. Ich muss diesem Mann zustimmen. Wenn ich höre, dass wir hoch zivilisiert sind, dann nur weil Zivilisation an technischem und wissenschaftlichem Fortschritt gemessen wird. Technik verbindet Menschen mit Maschinen. Wissenschaft schafft Wissen, das wir oft nicht brauchen. Und wie verhalten wir uns gegenüber den Dingen, über die wir nichts wissen? Welche Maschinen, welche Technik und welche Studien helfen uns, hier Erkenntnisse zu finden? Die geistige Beziehung zu Menschen, Tieren und Pflanzen – eben zur Natur – benötigt keine Maschinen und keine Technik, kein Wissen. Sie ist jedem zugänglich. Sie ist für jedes Lebewesen, für jeden Baum und jedes Tier, für Menschen und Steine, Berge und Seen erreichbar. Weil sie nichts anderes ist als all diese Dinge zusammen und all die andere Dinge, die wir nicht begreifen, sehen, hören und von denen wir nichts wissen können. Wir können sie dennoch spüren. Dafür braucht man aber Zeit, Geduld und ein wenig Ehrfurcht vor dem Leben. Ich glaube dies haben die Menschen dort noch nicht ganz vergessen.

ich bewundere die Leute, die Bücher lesen
noch mehr bewundere ich die Leute, die Bücher verstehen
und noch mehr bewundere ich die Leute, die aus den Büchern lernen
aber mehr als all diese Leute bewundere ich die, die jeden Tag aufstehen und arbeiten gehen
-abendländische Weisheit-

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Okt. 07 2007

Reisebühne

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Zwei Hosen, zwei Shirts, ein Paar Schuhe, meine Flip-Flops und meine Kamera – so gehen ich und meine „garota“ durch Südamerika. Wir werden sechs Monate lang einen großen Teil dieses Kontinents bereisen. Welch ein Traum! Ja, das ist es wirklich.

Ich sehe, wie sich vor uns ein Vorhang hebt, wodurch uns die Gelegenheit gegeben wird, Natur, Ländern, Völkern und Kulturen dieses Kontinents näher zu kommen und sie kennen zu lernen. Und was noch viel besser ist, der Vorhang geht nicht nur auf und ich schaue nicht nur von der Tribüne aus zu, sondern es gibt in diesem Fall weder Tribüne noch Zuschauer – wir stehen alle auf der Bühne, auf der Bühne des Lebens. Selbst wenn wir die reine Zuschauerrolle gerne annehmen würden – was ich äußerst bezweifle. Denn der Platz auf den Zuschauerrängen ist zu winzig und zu unbequem, als dass es einem lebensbejahenden Menschen gelingen könnte, dort zu verweilen. Der Zuschauer fällt ins Leben und wird selbst zum Akteur. Und das ist gut so. Das bringt uns den Menschen und den Dingen näher.

Ein anderes keineswegs unwichtiges Argument für dieses Unternehmen, sozusagen ein Nebenprodukt dieser Reise, ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Bruch mit dem Alltag. Ja, ich weiß, der Alltag kann schön sein, und er gibt uns Sicherheit. Aber gibt es denn etwas Besseres als Abwechslung? Etwas Schöneres als Änderungen und die damit verbundenen neuen Anregungen? Vor allem wenn es darum geht Dingen nachzugehen, nach denen man sich lange gesehnt hat? Allein die Vorstellung etwas zu tun, was nicht der Erwartung anderer entspricht, und im Grunde genommen uns selbst überrascht, haucht mir wieder das feurige Gefühl vom Leben in die Adern. Etwas zu tun, was nichts mit dem sich mühsam erschaffenen Alltag gemeinsam hat. Und vielleicht ist dieses Nebenprodukt gerade deswegen unser Antrieb, um Länder, Völker, Kulturen und die Natur kennen zu lernen. Dieses Gefühl des sich Mitnehmenlassens, des sich Mitreißenlassens, ja des Geschehenlassens, und dabei einfach nur zu sein. Zuschauer und Akteur in der Neuen Welt zu sein. Eine Welt, die sich dir neu eröffnet- nur dir allein für diesen ganz besonderen Zeitraum. Und alles, was zu tun ist, sei es zu organisieren, planen, reisen, fotografieren, schreiben und was auch immer, all dies ist aus deiner Idee entsprungen. Der Idee durch Südamerika zu reisen. Diesen Traum zu realisieren, hat dir niemand eingeredet, nur du selbst bist dafür verantwortlich. Du bist mitten auf der Bühne. Sie reicht so weit die Augen blicken, und ist so groß, wie die Arme greifen. Dir steht die Welt offen. Also bewege dich.

Wir wünschen uns und allen anderen, die sich gerne bewegen – sei es von Ort zu Ort, von Tag zu Tag oder von Idee zu Idee – eine gute Reise.

ent-scheidung

wer denkt
er müsse
der will nicht

– dieter roos –

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