Feb. 12 2008

Ushuaia, die Stadt der Heimatlosen

Published by at 1:57 am under Reisetagebuch

Bunte Häuser, manche so klein wie Geräteschuppen, schmiegen sich an die Hänge des Beagle-Kanals. Alles sieht ein wenig unorganisiert aus. Wir sind in Ushuaia, am Ende der Welt.

Ushuaia liegt im argentinischen Teil von Feuerland, direkt am Beagle-Kanal. Diese Wasserstraße verbindet den Atlantik mit dem Pazifik. Sie wurde nach dem Schiff benannt, mit dem Charles Darwin vor etwa 100 Jahren Südamerika bereiste. Feuerland hingegen erhielt seinen Namen von den vielen Feuern am Ufer. Diese waren von den dort lebenden Indianern entzündet worden, um ein wenig Wärme in ihr Leben zu bringen. Gegenüber von Ushuaia, auf der anderen Seite des Beagle-Kanals, sieht man die hohen Berge der Isla Navarina. Das ist der kaum besiedelte chilenische Teil von Feuerland. Das Bergpanorama ist bestechend schön. Immer wieder schweifen meine Blicke in die Ferne. Nie zuvor sah ich so hohe Berge, die direkt aus dem Meer steil aufragen.

Das Zentrum von Ushuaia besteht aus einer Haupt- und mehreren kleinen Querstraßen. Hier reihen sich Restaurants an Souvenirläden, Outdoorshops an Reisebüros. Immer wieder lese ich das Wort „Antarcica“. Denn Ushuaia gilt als das Tor zur Antarktis. Alle Kreuzfahrtschiffe mit dem Ziel Antarktis machen hier einen Zwischenstopp. Der Tourist findet in dieser Stadt alles, um seinem Traum vom Ende der Welt näher zu sein. Und es sind viele, die hierher reisen. Man trifft Menschen aus allen Nationen. Aber auch zahlreiche Menschen, die hier leben und arbeiten, kommen ursprünglich aus anderen Teilen Argentiniens. Es ist ziemlich schwierig, jemanden zu finden, der hier geboren wurde oder wenigstens schon länger als zehn Jahre hier lebt. Deshalb ist Ushuaia für mich auch die Stadt der Heimatlosen.

Alle Menschen, die ich in den Straßen von Ushuaia treffe, kamen hierher, um Urlaub zu machen oder um eine Saison lang hier zu arbeiten. Luis, ein Touristenguide, beispielsweise. Er berichtete uns, dass er seit fünf Jahren hier lebt. Er stammt aus Cordoba, einer Stadt in Nordargentinien. Und er kam nach Ushuaia, um in der Tourismusbranche zu arbeiten. Er erinnert sich, dass es vor fünf Jahren fast noch kein Haus mit Garten gab. Die Leute seien hier früher nur eine Saison geblieben, um in der Fischindustrie zu arbeiten. Für diese kurze Zeit lohnte es sich nicht, ein schönes Heim zu bauen. Man kaufte sich deshalb in der Regel ein billiges Fertighaus aus Kanada oder Finnland. Das sind einfache Holzhäuser. Die aus Finnland sind bunt angestrichen, die aus Kanada sehen mit ihrer graubraunen Farbe trostloser aus. Seit dem Touristenboom baut man allerdings nun auch hier schönere, größere Häuser. Die ersten Gärten wurden angelegt. Viele Leute bleiben jetzt ganzjährig hier. Die Stadt hat sich dadurch in den letzten Jahren stark vergrößert. Mit dem Bevölkerungswachstum stieg auch der Bedarf an Verwaltungsangestellten. Viele arbeiten jetzt neben ihrer Tätigkeit in der Tourismusbranche auch in der Verwaltung. Die „Heimatlosen“ haben eine neue Heimat am Ende der Welt gefunden.

 

Jeder hat ja so seine eigene Vorstellung vom Ende der Welt. Für die meisten jedoch bedeutet es Kälte, Wind und Pinguine. Es ist Mitte Januar, also Hochsommer in Ushuaia. Aber wir sind dennoch erstaunt über die Wärme hier: Denn auch im Hochsommer herrschen in Antarktisnähe eigentlich winterliche Temperaturen. Derzeit nicht. Ich frage mich, weshalb ich meine dicken Handschuhe und meine Mütze mitgenommen habe. Meine Vorstellungen vom kalten Ende der Welt bewahrheiten sich jedenfalls nicht. Vielleicht muss man in Zukunft wirklich in die Antarktis fahren, um ein bisschen das Gefühl vom unwirklichen kalten Weltende zu erhalten. Wind und Pinguine gibt es jedoch noch. Letztere können die Touristen in Ushuaia mit dem Boot aufsuchen. Im Hafen findet man eine Agentur neben der anderen. Sie alle bieten Bootsfahrten im Beagle-Kanal an. Es gibt hier für jeden das geeignete Programm. Eine Bootsfahrt mit einem großen Katamaran mit Halt an einer Pinguininsel etwa – für den bewegungsunfreudigen Pauschaltouristen oder den unter Zeitdruck stehenden US-Amerikaner oder Japaner. Es gibt jedoch auch etwas individuellere Touren. Wir entscheiden uns schließlich für eine Fahrt mit einem Segelboot in einer kleinen Gruppe zu zehn Personen zur Insel „H“. Auf der Fahrt dahin passiere man auch die Insel der Seehunde, heißt es und auf „H“ angekommen, könne man an Land gehen und zu einer Kormorankolonie wandern. Die Dame von der Agentur „Tres Marias“ versichert uns, dass dieses Angebot wirklich einmalig sei, da man in kleinen Gruppen unterwegs sei und nur ihre Agentur die Erlaubnis habe, auf der Insel „H“ an Land zu gehen. Da wir uns nicht als Pauschaltouristen betrachten und eher auf den Seitenstraßen des Tourismus reisen wollen, buchen wir diese Tour. Und wir werden nicht enttäuscht. Wir sehen Seehunde und Kormorane und spüren den Wind vom Ende der Welt in unseren Gesichtern.

Nach einem Besuch im Nationalpark von Feuerland verlassen auch wir zwei Tage später wieder Ushuaia, die Stadt der Heimatlosen. Fünf Tage lang war sie uns ein bisschen Heimat… Dennoch sind wir froh, weiterziehen zu können, da die vielen Touristen doch ein wenig die Vorstellung vom einsamen Ende der Welt beeinträchtigen.

3 responses so far

3 Responses to “Ushuaia, die Stadt der Heimatlosen”

  1. FMSon 13 Feb. 2008 at 3:05 pm

    Ein Zitat aus Eurem Text oben: „… da wir uns nicht als Pauschaltouristen betrachten“. Mal ein anderer Tenor von FMS: Dieser Ausspruch ist so von der Natur, wie er mir aufstößt. So ein Bekenntnis zu einem vermeintlich überlegenen Niveau. Die Dinge, die man tut, sprechen doch eine eindeutige Sprache, dass bitte niemand daran zweifle, wer man sei und was man nicht sei … Ein schönes Zitat hierzu:

    „Ich liebe den See, weil es sich bei ihm um nichts Bestimmtes handelt. Wie schön wäre es, wenn man sich allem ‚anpassen‘ könnte; auf nichts Eigenem bestehen, nichts Bestimmtes sein. Das wäre Harmonie, Todlosigkeit, Ichlosigkeit. Aber nein, dauernd muss man so tun, als wäre man der und der, und genau der stirbt doch!“.

    Auch wenn Ihr nur den FMS kennt, der Scheisse schwallt. Ich schwalle Scheisse gerne, um genau solchen Anwandlungen schon im Keime zu entgegnen. Es macht mir Spaß, Versuche zu zerstören, sich mit mir im Zeichen einer besseren Aufgeklärtheit zu messen, zu schmücken, und bombe die Plaketten beiseite, die man hierzu gerne nimmt. So halte ich Euch entgegen „Ich bin auch ein Pauschaltourist!“ und lasse offen, wie oft ich auf diese Weise in der Vergangenheit verreist bin und wie es mir dabei gefiel.

    Was ist man wirklich und wer ist man selbst: Gänzlich unabhängig bin ich dennoch nicht, in gewisser Weise eine persönliche Gegen-Reaktion auf das was mich umgibt. Manchmal ein negatives Vorzeichen dazu. Ob es das ist was mir manchmal den Schlaf raubt weiss ich nicht, aber ich war nie anders und ich mag es so.

    So habe ich genau deshalb noch nie geraucht, und meine Liebe zu FastFood ist somit fast schon eine ideologische Bekennung. Ich habe auch keine representativen Mitgliedschaften und keinen glänzenden Job. Aber ich laufe nur einmal kurz um den Block und hole dabei mehr für mich raus, wie die meisten, die sich Spiritualität in gelernten Abläufen auf ihre Fahnen schreiben.

    Mich als Freund zu haben, dafür muss man zuhören können. Genau, diesem Büromenschen, der mit seiner Freundin „anhänglich“ in einer Wohnung zusammenleben „kann“. Vielleicht lernt man auf diese Weise auch so einiges dazu, ohne einen Kilometer dafür verreist zu sein.

    Ihr macht ne tolle Reise und lernt „einfaches“ Leben kennen. Vieles hiervon würde ich mir für das Leben hier auch wünschen. Aber ich denke: wo Menschen zusammenkommen ist vieles gleich. Ob in Südamerika oder in Nuuk. Aber Impulse könnte Ihr mitnehmen. Viel Erfolg dabei!

    FMS.

  2. Sabrinaon 18 Feb. 2008 at 9:18 pm

    @FMS
    Starke Worte! Ich weiss was Du meinst, auch wenn ich es persönlich jetzt hier auf dieser Seite wirklich nicht so schlimm finde. Aber so wie Du es beschreibst, und wie es Dir aufstößt ticken doch fast alle Menschen in unserer Zeit, und Ausnahmen zu finden ist schwer. Aber trotzdem möchte ich Dir empfehlen, wenn Du ein Problem damit hast, und es mit der sogenannten Wellenlänge nicht harmoniert, dann trenne Dich doch von den beiden, die Du wohl schon länger zu kennen scheinst. Dann musst Du auch nicht dauernd „dagegenscheissen“, um bei Deinen Worten zu bleiben.
    Du scheinst einfach etwas feinere Antennen zu haben, und ich wünsche Dir alles Gute, wer auch immer Du bist.
    @Die beiden Reisenden
    Ihr habt Euch etwas sehr Schönes vorgenommen und verwirklicht Euren Traum auf eine sehr schöne Weise. Genießt jeden Tag und jede Erfahrung und bringt viel für Euer Leben mit.
    Eure Sabrina. (Ich bekam Eure Seite von einer Freundin empfohlen)

  3. FMSon 20 Feb. 2008 at 5:40 pm

    @Sabrina
    😉

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