März 16 2008
Rotalgenpest – eine Gefahr für Muschelliebhaber
Wir wandern auf dem schönen Küstenweg im Nationalpark von Feuerland. Immer wieder gelangen wir an einsame Buchten mit Kiesstränden. Riesige rotbraune Felsen säumen die Buchten. Es ist Ebbe, das Wasser hat sich zurückgezogen und gibt die Geheimnisse des Meeres preis. Die Felsen sind übersäht mit Miesmuscheln. Schwarze Schalen stehen aneinandergereiht auf dem Felsen.
Jens zieht sein Taschenmesser, murmelt etwas von „früher in Achieta habe ich mit dem Meer gelebt“. Ich kann gar nicht so schnell aufschauen, da hat er bereits mit dem Taschenmesser eine Muschel vom Fels gelöst. Ich sehe die Klinge blitzen, sie trennt die beiden Muschelhälften. Jens Mund nähert sich dem schleimigen orange-braun schimmernden Muschelfleisch. Ich höre ein schlürfendes Geräusch. Jens schaut mich triumphierend an und meint zufrieden: „Fast wie früher in Anchieta“. Ich schaue entsetzt in sein Gesicht, denke an meine Muschelvergiftung auf Sizilien. Ich kann einfach nicht glauben, dass er gerade eine rohe Muschel verzehrt hat. Ich kläre ihn auf über die Gefahren von Miesmuscheln, über die Möglichkeit, dass er eine schlechte, verdorbene erwischt hat. Ich glaube, er nimmt mich nicht ernst, denn zehn Minuten später meint er schmunzelnd: „Mir wird ganz komisch“. Ich schreie ihn an, sage ihm dass damit nicht zu spaßen sei.
Ein paar Tage spaeter sind wir in Punta Arenas an der Magellanstraße in Südchile. Wir wollen auf der Isla Magdalena eine Pinguinkolonie besuchen (wir berichteten). Die Motoren des Bootes, mit dem wir zur Pinguininsel fahren, heulen laut vor sich hin. Luis unser Führer erzählt uns seit zwei Stunden von Flora und Fauna der Küsten von Patagonien. Ich höre das Wort Rotalgenpest und vernehme, dass im Moment an der Küste von Punta Arenas keine Muscheln und Meeresfrüchte gefangen werden dürfen. Als wir am Bootssteg anlegen, deutet uns Luis an, dass wir ihm folgen sollen. Er geht hinunter zum Strand, der von braunen Felsen eingerahmt ist. Wie in Feuerland sind die Felsen auch hier mit dichten Teppichen aus schwarzen Miesmuscheln bedeckt. Plötzlich zieht Luis sein Messer aus der Tasche. Er schneidet eine Muschel vom Felsen. Die silbergraue Klinge blinkt im Licht der Mittagssonne. Luis öffnet langsam die Muschel und holt das Muschelfleisch heraus. Mir ist als hätte ich „Déjà -vu“. Will Luis uns jetzt zeigen, wie man rohe Muscheln isst? Ich schaue zu Jens. Er ist gerade dabei sein Taschenmesser aus der Tasche zu ziehen. Er möchte es Luis nachtun, ihm zeigen, dass auch er immer auf diese Weise Muscheln isst. „Wenn Du das jetzt isst, bist Du in 30 Minuten tot“ meint Luis und zeigt auf das Muschelfleisch. Jens und ich schauen uns entsetzt an. Jens’ Hand wandert von der Tasche entsetzt ins Gesicht. Was wäre nur geschehen, wenn auch in Feuerland eine Rotalgenpest gewesen wäre? Luis erklärt, dass die Rotalge selbst nicht giftig ist, jedoch den Stoffwechsel der Meeresfrüchte veranlasst, ein für den Menschen hochtoxisches Nervengift zu produzieren. Zu Beginn merkt man ein taubes Gefühl an der Zungenspitze, dann tritt eine Gesichtslähmung auf, schließlich stirbt man an einer Atemlähmung.
Man sieht es der Muschel nicht an, ob sie von der Rotalge befallen ist. Der Staat untersucht deshalb alle Meeresfrüchte vor dem Verkauf auf das Toxin der Rotalge. Luis meint jedoch, dass es immer wieder Fischer gebe, die trotz Fangverbote Meeresfrüchte fischen und dann über illegale Verkaufswege versuchen, diese zu verkaufen. Seriöse Fischhändler und Restaurants seien jedoch sicher. Jens stimmt mir zu, dass es vielleicht doch besser ist, nicht alles zu verzehren, was man auf Reisewegen antrifft. Wir sind beide erleichtert, dass die Muschel auf Feuerland keinen Rotalgenbefall aufwies. Und ich bin froh, dass mir Muscheln überhaupt nicht schmecken.
Das liest sich ja wie ein Krimi. Da sind wir aber froh dass dem Jens nichts passiert ist. Interessant wäre zu erfahren ob diese Rotalgenpest eine Zivilisationserscheinung ist oder schon immer dort gelegentlich auftritt. Unsere Distanz zu Muscheln ist jedensfalls größer geworden.