März 15 2008
Punta Arenas – die Stadt der Handels- und der Schafsbarone
Es herrscht ein geschäftiges Treiben in den Straßen von Punta Arenas, einer Stadt in Südchile. Sie liegt direkt an der Magellanstrasse, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Neben den an ihrer Treckingkleidung gut erkennbaren Touristen bevölkern Bank- und Verwaltungsangestellte in Anzügen sowie Frauen mit Kindern die Innenstadt. Es ist 17.00 Uhr als wir ankommen. Sofort spürt man im Gegensatz zu Ushuaia in Argentinien, dass hier die Menschen nicht nur vom Tourismus leben. Punta Arenas ist eine Stadt, die Zeit hatte sich zu entfalten, eine eigene Infrastruktur aufzubauen, ein eigenes Gesicht zu entwickeln. Vor dem Bau des Panamakanals war Punta Arenas ein wichtiger Handelshafen. Alle Waren, die zwischen dem Atlantik und dem Pazifik hin- und hertransportiert wurden, passierten Punta Arenas. Noch heute zeugen die Villen, die den Hauptplatz umsäumen, vom ehemaligen Reichtum der Stadt.
Die wohlhabendste und einflussreichste Familie der Stadt war die Familie Jose-Menendez Braun. Jose Menendez, ein Spanier, gründete mit dem Russen Elias Braun ein Handelsunternehmen in Punta Arenas. Die Tochter von Elias Braun heiratete später Jose Nogeira – einen Portugiesen, der es mit dem Verkauf von Seehundfellen und Leder zu einem bedeutenden Vermögen gebracht hatte. Durch diese Ehe entstand ein Handelsimperium in Patagonien, das der Familie ein riesiges Vermögen einbrachte. Die Nachkommen der Familie Menendez-Braun sind heute noch die Eigentümer der größten und bedeutendsten Estancias in Patagonien und Feuerland. Heute offerieren sie reichen Touristen luxuriöse Estancia-Aufenthalte.
Wir schlendern durch den städtischen Friedhof von Punta Arenas. Riesige Mausoleen bestätigen erneut den Wohlstand der Einwohner. Auf vielen Grabsteinen stehen kroatische Namen. Denn die Stadt war ein bevorzugtes Ziel für Einwanderer aus Kroatien. Auch heute noch gibt es ein kroatisches Viertel, das mir mit seinen im europäischen Stil eingerichteten Cafés ein Gefühl der Vertrautheit gibt. Endlich kann ich mal wieder einen Cappuccino trinken – in Chile bekommt man sonst nur löslichen Kaffee. Auch die köstlichen Kuchen lassen heimatliche Gefühle in mir aufkommen.
Es ist noch früh am Morgen als wir zu einer Bootsfahrt zur Isla Magdalena in der Magellanstraße aufbrechen. Wir wollen eine riesige Kolonie von Magellan-Pinguinen besuchen. 170.000 dieser Seevögel kommen jedes Jahr hierher. Sie ziehen hier ihre Jungen auf. Schon von weitem sehen wir zahlreiche kleine schwarz-weiße Punkte. Und je näher wir kommen, umso lauter wird es. Ich komme mir vor wie in einem riesigen Fußballstadium, so gewaltig ist die Geräuschkulisse, die die Tiere mit ihren Schreien erzeugen. Das Boot legt an einem Steg an, und wir treten ein in das Reich der Pinguine. Es gibt einen kleinen Pfad hinauf zum Leuchtturm. Er führt mitten durch die Pinguinkolonie. Doch die Vögel beachten uns kaum. Wie seriös sehen sie aus in ihrem schwarz-weißen Frack. Magellan-Pinguine haben im Gegensatz zu den Königspinguinen der Antarktis keine orangefarbenen Streifen am Kopf. Sie sind zudem etwas kleiner. Der Grund: Größere Volumina kühlen langsamer aus als kleinere. Daher sind die Pinguine der Antarktis am größten, und je näher man dem Äquator kommt, umso kleiner werden sie. Pinguin-Paare bleiben sich ein Leben lang treu. Wie schön, dass es noch glückliche Paare fürs Leben gibt! Vielleicht werde ich im nächsten Leben ein Pinguin?
Ich beobachte neugierig das Familienleben der befrackten Gesellen. Jedes Paar hat ein oder zwei Junge. Die Jungtiere haben noch keinen Frack. Sie tragen einen hellgrauen Flaummantel und sind bereits so groß wie ihre Eltern. In einem Monat werden sie die Insel verlassen. Links von mir schnäbelt ein Pärchen zärtlich miteinander. Rechts zupft eine Mutter liebevoll am Flaum ihres Kindes. Weiter vorne steht ein Vater, der den Hals streckt und laute Schreie von sich gibt. Und ein paar Schritte weiter sehe ich ein Pärchen beim Liebesspiel. Am Strand hat sich eine Gruppe von Jungtieren zusammengefunden, die bereits erste Ausflüge alleine unternehmen. Ein erwachsenes Tier scheint ihr Aufseher zu sein. Immer wieder zwingt es die Jungen mit ein paar Schnabelhieben zur Ordnung. Irgendwie machen die Pinguine schon einen sehr menschlichen Eindruck auf mich. Häufig muss ich stehenbleiben, um einen Pinguin den Pfad passieren zu lassen- sie haben hier einfach Vorfahrt. Ihr Gang wirkt tollpatschig. Ich muss schmunzeln. Es ist gerade diese Unbeholfenheit im schwarz-weißen Frack, die die Pinguine so liebenswürdig erscheinen lässt. Nach eineinhalb Stunden in ihrem Reich kehren wir wieder zurück in das Reich der Handels- und Schafsbarone.